Samstag, 15. Juni 2013

Ivo Lution und Ben Hur

Ivo Lution und Ben Hur

Höchste Zeit,  dass wieder über die Entwicklung der Menschheit gesprochen wird, sonst verschwindet das Thema völlig von der Tagesordnung. Aber nachdem ich in einem Kreuzworträtsel-Wettbewerb mit Nebenfluß der Otter – vier Buchstaben – die richtige Lösung (Malp) erriet, war ich nur noch unterwegs. Der erste Preis nämlich, ein Jury-Platz für die Mount-Everest-Filmfestspiele, führte zu immer weiteren Einladungen. So war ich als gefragtes Jury-Mitglied plötzlich ständig auf Achse. Hohenhausen, Dehnbach im Ellertal oder sogar internationale Herausforderungen wie St. Etienne de Montluc, Wilhelm-Tell-Festspiele (analog, nur gerissene Filmschnitzel waren zugelassen!), der Gondelpreis des Goose-Mountain usw., das war nur der Anfang. Jetzt, in Cannes, durfte ich den Publikumspreis mitentscheiden. Wie immer begann alles mit dem Ausrollen des roten Teppichs. Danach das Glotzen der Filme. Wahnsinnig anstrengend, nur etwas für Kenner wie ich. Viele Jury-Mitglieder hatten sich in den Beitrag Orsaniens („Makkadamische Liebe“) buchstäblich verguckt – ein rührendes Drama übrigens, wobei ein Ziegenhirte sich trotz vieler hübscher, unmißverständlicher Angebote gackernder Mädchen doch letztlich für seine Ziege entscheidet. Ich genoß das Ende allerdings nicht, sondern entschied mich noch einmal für „Ben Hur“, wie bekannt einer der ersten Monumentalfilme. Der Film war zwar nicht eigentlich im Cannes-Angebot, erfüllt aber für Filmkünstler nach wie vor eine Vorbild-Funktion. Wir müssen uns zunächst erinnern, bevor wir weiterschreiten! Besonders gut gefällt mir die Szene, als Ben (oder Hur, wenn man sich nicht duzt) mutig in die Unterkünfte bzw. Höhlen der Lepra-Kranken hinuntersteigt, um Mutter und Schwester ausfindig zu machen. Die beiden, auf Anweisung der fiesen Römer dorthin deportiert, sind jedoch von dem Besuch zunächst wenig begeistert. Auch die anderen Alteingesessenen möchten lieber unter sich bleiben; niemand z.B. bietet Ben die Lepra-Zeitschrift „Mit Haut und Haaren“ an, sondern alle verschwinden schnell in die Katakomben, als der besorgte Verwandte auftaucht. Selbst das Angebot von frischen, einheimischen Jaffa-Apfelsinen (von weinerlicher Filmmusik begleitet) weiß niemand recht zu würdigen. Als Ben Mutter und Schwester endlich findet und sie schließlich an die Oberfläche zerrt, tritt ein kräftiges, nicht vorausgesagtes Gewitter auf, alles enorm symbolistisch. Nach dem Unwetter sind nicht nur Kleiderlumpen gereinigt, sondern auch die darunter versteckten Hände und Gesichter. Sowas ist hohe Filmkunst. Regisseur David Lean, der uns allen eher wegen des Pferdewagen-Wettkampfes in Erinnerung geblieben ist, hat mir privat anvertraut, dass er selbst den ständigen Durst (also das ständige Herumreichen von Wasser) als den Kernpunkt dieses Films betrachtet. „Wasser, Ivo,“ sagte er mir sachte und dabei leicht und weise lächelnd, „Wasser und Durst, das sind die Quellen unseres Wissens.“ Bitte, denkt doch mal darüber nach, wenn ihr heute euer erstes Bier trinkt.